„Gehst Du eigentlich schon wieder arbeiten?“

5. Dezember 2019 J P

„Gehst Du eigentlich schon wieder arbeiten?“

Schuldfefühle und das Gefühl, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen.

 

„Gehst Du eigentlich wieder arbeiten?“

Ich weiß nicht, wie oft ich diese Frage in den letzten Wochen und Monaten bereits gestellt bekommen habe. Klar. Die Leute sehen mich, wenn es mir halbwegs gut geht und ich unterwegs bin. Wenn ich es ins Fitnessstudio geschafft habe, zum Tennisplatz, in die Kneipe oder einer Einladung zum Geburtstag gefolgt bin.

Mit einer akuten Depression bedarf es einer enormen Anstrengung, um gerade an gesellschaftlichen Verpflichtungen teilzunehmen, damit man sich nicht komplett isoliert und zurückzieht.

Einmal dort, läuft man gezwungenermaßen zur schauspielerischen Höchstform auf. Das Gesicht lächelt, das Herz nicht. Da dein Gegenüber es aber nicht wahrnimmt, kommt dann irgendwann die Frage:

„Gehst Du eigentlich wieder arbeiten?“

Und prompt kommen Schuldgefühle auf. Ein schlechtes Gewissen. Ich muss mich wieder rechtfertigen. Aber warum eigentlich?

Erklärungsversuch

Ich glaube einfach es liegt daran, dass es für Menschen, die noch nie selbst oder deren Angehörige und Freunde betroffen waren, es nicht greifen können. Dieser Kloss im Bauch, diese Müdigkeit, die Grübeleien die einen nicht schlafen lassen. Aber alles zu beschreiben und zu erklären ist dir schon zu viel. Darum ziehst du dich zurück. Bist lieber alleine.

Gerade bei Männern ist die Diagnose Depression immer noch ein Tabuthema. Man(n) zeigt keine Schwäche. Man(n) redet nicht über Gefühle. Man(n) weint nicht (außer Dein Team wird Meister). 😉

Darüber reden lernen

Gelernt darüber zu reden, habe ich erst in der Klinik. Nach Rücksprache mit meinen Ärzten und Therapeuten habe ich mich im Februar 2019 einweisen lassen (hier mehr dazu in meinem ersten Beitrag). Dort gab es unheimlich viel Gruppentherapie, gegen die ich mich zunächst immer innerlich gewehrt hatte. Mittlerweile habe ich die Vorteile zu schätzen gelernt.

In der Gruppe muss ich mich nicht rechtfertigen, nicht erklären. Hier kann ich offen über meine Gefühle sprechen. Den Anderen geht es ähnlich, sie fühlen ähnlich und haben Verständnis. Mir fiel es zudem leichter mit (zunächst) fremden Menschen über meine Erkrankung zu sprechen. Ich hatte nie die Befürchtung, meine Gedanken und Probleme könnten jemandem aus meinem Bekanntenkreis zu Ohren kommen.

Ein weiterer Vorteil ist: Du wirst so akzeptiert wie Du bist. Keine Schublade in der Du schon drin steckst, keine Vorurteile, keine Vergangenheit. Deine Mitpatienten lernen „nur“ dein heutiges ICH kennen. So wie du gerade bist.

Die Rückkehr in den Alltag

Der 6-wöchige Klinikaufenthalt hat mich zunächst stabilisiert. Mir ging es besser. Aber dann kommst Du wieder nach Hause und musst feststellen, das Leben geht weiter wie zuvor. Du musst aufpassen, dass der Fluss des Alltags dich nicht gleich wieder mitreißt. DU musst lernen mit dem Alltag umzugehen. Das Leben wird sich nicht ändern, damit es Dir besser geht. DU musst DEINE Einstellung anpassen, um damit einfach besser klar zu kommen. Leichter gesagt als getan.

Glücklicherweise sind aus einigen Mitpatienten gute Freunde geworden, mit denen ich mich noch heute regelmäßig austauschen kann. Dafür bin ich sehr dankbar.

Fazit: Das „Tabuthema“ Depression ist in der Gesellschaft immer noch die große Unbekannte. Jeder hat schon davon gehört. Damit auseinandergesetzt haben sich die wenigsten. Über das Thema zu reden, um es in der breiten Öffentlichkeit zu mehr Akzeptanz zu führen, ist das eine. Über die persönlichen Gefühle, Sorgen und Ängste zu sprechen, das andere. Dafür suche ich mir nach wie vor Menschen, die mich verstehen.

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Comments (2)

  1. Silke

    Lieber Jörg,
    Ich kann mir das sowas von gut vorstellen, wie Dich solche Fragen nerven.
    Die Menschen, die nicht an einer Depression leiden oder generell nix damit zu tun haben, können sich kaum bis gar nicht in Deine Situation hinein versetzen und denken, dass die Sache in ein paar Wochen/Monaten vorbei ist…Tztztz
    Lass Dich nicht ärgern -ich finde es toll, dass Du den Blog erstellt hast und so offen über Deine Krankheit sprichst.
    Ich hab Dich lieb.
    Deine Schwester

  2. ROBERT

    Hallo Joerg, tolle Beiträge. Ich erkenne mich und meine Probleme wieder. Ja, wir Männer sind schon Helden, dass wir in der Reha auf Cool und Sportlich machen. Aber da war ja auch Wohlfühlzone. Ich bin jetzt seit 4 Wochen wieder am arbeiten und tue mich extrem schwer. Ist jeden Tag ein Kampf aufs Neue. Bleib weiter dran.( und schiesst am Samstag die Bayern aus dem Stadion) Gruss aus Büdingen Robert

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