Mit dem Wissen von heute hätte ich die Warnzeichen und Hinweise sicherlich früher erkannt. Ein Nervenzusammenbruch sorgte dann erst dafür, mich in psychiatrische Behandlung zu begeben.
Bei Männern bleiben Depressionen (zunächst) häufig unerkannt. Anders als bei Frauen, kommt es bei Männern statt sozialem Rückzug eher zu Wutausbrüchen und statt Niedergeschlagenheit zu gesteigertem Arbeitseifer. Männer neigen zu Aggression, Aktionismus und hoher Risikobereitschaft. Diese Hilferufe werden bei Männern, gerade im mittleren Alter, häufig als Midlife-Crisis abgetan.
Die „Praxis für Inneres Erleben“ berichtet in einem Beitrag über die 9 Anzeichen, an denen man eine Männer Depression erkennt. Diese Phasen waren (glücklicherweise bis auf Punkt 9 „Suizid“) bei mir alle mehr oder weniger vorhanden, ohne das es mir zu irgendeiner Zeit bewusst war.
Und das ist gerade das tückische daran. Alles kommt schleichend und man bemerkt es erst, wenn man bereits mittendrin steckt: In der Männer Depression!
Die 9 Phasen sind (Quelle: Praxis für Inneres Erleben):
- Lieber Burnout als Depression
- Flucht in Arbeit, Sport, Risiko etc. (Aktionismus)
- Alkoholkonsum
- Schlaflosigkeit / Schlafstörungen
- Zwanghafte Ordnung
- Plötzlich grundlos ausrasten
- Dauerglotzen und Computerspiele
- Psychosomatik (körperliche Beschwerden)
- Suizid
Phasen, Punkte oder wie auch immer
Den Ausdruck Phasen empfinde ich persönlich als nicht so gut gewählt, da es suggeriert, diese würden aufeinander aufbauen. Darum nenne ich es lieber Punkte.
Punkt 1 trifft wohl erst dann zu, wenn die Erkrankung bereits klar ist. Auch ich sage noch viel zu oft, ich hätte ein Burnout (gehabt). Vielleicht einfach deshalb, weil dies für viele Nicht-Betroffene einfacher zu verstehen ist und eher nachvollziehbar. Ich würde es so erklären, dass ein Burnout eher einer von mehreren Auslösern einer Depression darstellt. Die Depression als solche hinnehmen und darüber reden fällt den meisten schwer.
Am Ende steckt jedoch eine ernsthafte Depression dahinter. Es als Burnout zu bezeichnen, ist ein Versuch der Verharmlosung. Ein Burnout suggeriert: „Ich habe richtig etwas geleistet“. Eine Depression gilt hingegen nach wie vor eher als unmännlich und schwach.
Auch die weiteren Punkte habe ich nie so richtig wahrgenommen.
So erlebt ich diese Phasen
Eine richtige Flucht in Arbeit war es bei mir nie (Punkt 2). Ich konnte jedoch nie richtig abschalten und gewisse Arbeitsproblematiken liefen mir auch nachts noch hinterher und ließen mich nicht schlafen. Wobei wir bei Punkt 4 sind.
Nächtliche Grübeleien und nicht wieder einschlafen können, weil das Gedankenkarussell ständig kreist. Dies wiederum sorgt für ständige Müdigkeit und Konzentrationsschwächen. Kurz vor der Erkenntnis eine Depression zu haben, musste ich mich nach der Arbeit zunächst hinlegen, um überhaupt den Abend zu überstehen.
Die Abende wurden dann weitestgehend mit Serienmarathons (Punkt 7) und Entspannungsbier (Punkt 3) überbrückt. Um Freunde zu treffen oder anderen Aktivitäten zu frönen, fehlten der Antrieb und die Energie. Sozialer Rückzug war die Folge.
Zudem war ich ständig und von allem genervt und rastet wegen jeder Kleinigkeit aus (Punkt 6). Meine Tochter hatte zwischenzeitlich sogar Angst vor mir und distanzierte sich.
Aber diese ganzen Veränderungen hatte ich nicht bemerkt. Sie kamen schleichend. Zudem hat man für alles eine Erklärung. Klar ist man Müde, wenn man nachts schlecht geschlafen hat. Dann ist man auch gereizt und pflaumt Mitmenschen an. Logischerweise legt man sich dann auch nach der Arbeit mal hin und trinkt abends zum Abschalten ein Bier. Man hat auch nicht immer Lust Leute zu treffen und benötigt mal Ruhe. Es kommt eben sehr schleichend und die Abstände werden immer geringer.
Somatische Probleme habe ich nicht verstanden
Schon lange hatte ich mit Nacken- und Rückenschmerzen zu kämpfen (Phase 8). Wirbelblockaden gab es häufig und der Gang zum Osteopathen war unvermeidlich. Die Abstände der Blockaden wurden im Laufe der Zeit immer kürzer und die Schmerzen immer heftiger. Als dann Taubheitsgefühle in den Fingern aufkamen, beantragte ich eine orthopädische Reha und trat diese auch an.
Nach 4 Wochen Reha fühlte ich mich körperlich wieder topfit. Neben den physiotherapeutischen und sportlichen Angeboten, nahm ich dort auch an Stressbewältigung teil und hatte sogar psychologische Einzelgespräche. Eine (aufkommende) Depression wurde dort nicht bemerkt!
Da ich zuvor einige Wochen krankgeschrieben war, war ich insgesamt 2 Monate lang nicht arbeiten. Die Nacken- und Rückenschmerzen traten jedoch nach 2 Wochen Arbeit wieder auf. Erst da wurde mir bewusst, dass die Problematik eher stressbedingt als orthopädischer Natur sein musste.
Kurz darauf erlitt ich einen Nervenzusammenbruch und begab mich in ärztliche Behandlung. Erst jetzt wurde die Diagnose Depression gestellt. Psychiatrische und Psychotherapeutische Behandlung liefen glücklicherweise schnell an.
Vielleicht hätte ich (oder meine Angehörigen) mit der Kenntnis der 9 Phasen früher die Gefahr einer Depression erkennen können und diese vielleicht verhindern können.
Solltest Du also diese Punkte bei Dir oder einem Angehörige / Freund feststellen, versuche ihn (oder auch sie) darauf hinzuweisen und darüber zu sprechen. Gerade bei Männern wird dies sicherlich zunächst auf Gegenwehr und Ablehnung stoßen. Daher fordert es sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen.
Wie Du Deinen Partner in einer Depression unterstützen kannst findest Du hier!
Einen Selbsttest, ob Du an einer Depression leidest findet Du hier!